[Redebeitrag] Kundgebung 1 Jahr nach Halle. Kein Platz für Antisemitismus!

Der Anschlag von Halle ist nun 365 Tage her. Der Attentäter handelte zwar alleine, war aber kein Einzeltäter. Der Anschlag von Halle ist Konsequenz eines gesellschaftlichen Klimas, das rechte Terrorist*innen zur Tat schreiten lässt. Dieses Klima drückt sich nicht nur in den Wahlerfolgen der AfD aus, sondern auch in den Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre. Es wurde nicht nur das Grundrecht auf Asyl immer weiter abgeschafft. Mit den Polizeigesetzen und Widerstandsparagrafen wurden direkt auch autoritäre Maßnahmen gegen alle möglich gemacht, die gegen dieses Unrecht aufbegehen. Auch wenn es dieses Aufbegehren jenseits von Petitionen und Latschdemos in Deutschland de facto leider nicht gibt.

Angetrieben werden diese autoritären Zuspitzungen durch eine laute rechte Bewegung auf den Straßen und im Netz. Genau dort radikalisierte sich der Täter und nutzte die Öffentlichkeit die ihm der Anschlag bot, für die Verbreitung seiner antisemitischen, antifeministischen und rassistischen Ideologien. Genau diese Ideologien sind in der deutschen Gesellschaft nach wie vor weit verbreitet und bieten überhaupt erst die Grundlage auf der sich der rechte Terror in Deutschland ausbreitet. Viel mehr noch: Sie sind wieder auf dem Vormarsch!

Während sich öffentlich darüber beschwert wird, man dürfe dank der angeblichen cancel culture und political correctnes ja keine rassistischen und antisemitischen Witze mehr machen, wird gleichzeitig auf den Titelblättern der größten Zeitungen dieses Landes ganz ernsthaft und ohne Witz darüber debattiert ob man Geflüchtete ertrinken lassen sollte und wieviel Polizeischutz für Synagogen denn nun wirklich angemessen sei. Diese Debatten werden aufgenommen und weiter diskutiert. Beispielsweise auf Imageboards wie 8Chan, auf denen sich auch der Täter von Halle rumtrieb.

Antifeminismus, Rassismus, Antisemitismus und auch Antikommunismus wirken dabei nicht getrennt voneinander, sondern in einer gemeinsamen Verschwörungsideologie: Globale Eliten (als Codewort für Jüd*innen) würden einen angeblich Kulturmarxismus nutzen um mithilfe von Feminismus die Geburtenrate zu senken und die Bevölkerung dann durch Migrant*innen auszutauschen.
Diese Verschwörungsideologie, so absurd sie auch wirken mag, durchzieht die Gesellschaft in unterschiedlichsten Ausprägungen. Sie entsteht dabei nicht im luftleeren Raum, sondern dient auch zur Bearbeitung konkreter Verlustängste und -Erfahrungen. Die Erklärung, dass mir böse Eliten mithilfe von Feminist*innen und Migrant*innen etwas wegnehmen wollen ist viel einfacher, als das Verstehen des komplexen kapitalistischen Systems. Es ist daher auch kein Zufall, dass wir einen Aufschwung rechter Ideologien seit der Weltwirtschaftskrise 2007 erleben.

Und während Millionen die Debatten um diese Ideologien führen und sie damit bestärken, fühlen sich Einzelne dadurch zu solchen Taten wie in Halle beauftragt. Alleine das Führen dieser Diskurse erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, dass genau solche Taten geschehen. Dies wird von vielen Diskursteilnehmer_innen nicht nur billigend in Kauf genommen, von einigen wird es sogar genau so beabsichtigt!

Diese Ideologien werden auch in Bielefeld sichtbar: Mit der AfD sind waschechte Faschisten in den Stadtrat eingezogen. Immernoch halten Coronaleugner_innen regelmäßig Kundgebungen in Bielefeld ab, auf denen antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet werden. Und in den letzten beiden Jahren marschierten hunderte Nazis am Gedenktag der Novemberpogrome durch Bielefeld.

Die Verbreitung dieser Ideologien geht allerdings über diese isolierten Kreise weit hinaus. Innerhalb der Bielefelder Polizei mehren sich rechtsextreme Vorfälle. Erst letzte Woche wurde ein Beamter vom Dienst suspendiert, der in Chatgruppen mit Kolleg_innen durch besonders offensiv vertretenen Rechtsextremismus aufgefallen ist. Geschützt wurde er dabei übrigens von über 50 weiteren Beamten in dieser Chatgruppe. Zuvor wurde bereits bekannt, dass aus dem Bestand des Bielefelder SEKs Munition ihren Weg zur rechtsterroristischen Gruppe Nordkreuz fand, die im letzten Jahr aufgeflogen ist.

Die Grundlage für eine solche Entwicklung schafft ein sich zunehmend enthemmender Diskurs auch in Bielefeld. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion um den Kesselbrink. Brutale, rassistische Übergriffe der Polizei, vor allem auf dem Kesselbrink, werden mit einem angeblichen Kampf gegen Drogen gerechtfertigt. Viel mehr noch wird unwidersprochen von weiten Teilen, bis weit hinein ins linke Lager der Stadt, im Bezug auf den Kesselbrink an rassistische Diskurse angeknüpft. Genau hier liegt die Basis, die es den Beamt*innen der Polizei überhaupt erst ermöglichen, sich so sicher zu fühlen, dass sie rechtsextreme Propaganda in großen Chatgruppen verbreiten. Und auch andere, mögliche Täter*innen verstehen diese Signale sehr gut.

Wir sind heute hier um den Opfern des Anschlags von Halle, Jana L. und Kevin S., zu gedenken,
Gedenken heißt für uns auch kämpfen: Eine Gedenkkultur, die dabei stehen bleibt, die Opfer des rechten Terrors zu bedauern, hat die nächsten Opfer bereits eingeplant. Wenn wir uns in unserem Gedenken ernst nehmen wollen, müssen wir uns den Rechten aktiv in den Weg stellen. Mehr noch: Es reicht nicht, die extremen Ausformungen rechter Ideologie zu benennen und sie zu bekämpfen. Wir müssen ihre gesellschaftliche Basis angehen!

Wieso sind der Antisemitismus, der Rassismus und der Antifeminismus nach wie vor Teil unserer Gesellschaft? Wieso sind diese Ideologien gerade wieder auf dem Vormarsch? Wieso erscheint es Menschen als eine politisch sinnvolle Aktion Menschen auf Grund ihrer vermeintlichen Herkunft oder ihres Geschlechtes umzubringen?

Wir müssen Antworten auf diese Fragen finden, denn eins ist klar: Der rechte Terror in Deutschland ist nicht die Folge einiger weniger Einzeltäter*innen, sondern die Folge einer Entwicklung, die von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wird. Wir werden uns dieser Entwicklung in den Weg stellen!

In diesem Sinne:

Stoppt den Rechten Terror!
Gedenken heißt kämpfen!