In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 machten sich Männer in schwarzen Uniformen an der Synagoge an der Turnerstraße unweit des Bielefelder Kesselbrink zu schaffen. Kurze Zeit später stand die 1905 eingeweihte Synagoge in Flammen. Zeitgleich zogen Nationalsozialist:innen durch das gesamte Stadtgebiet und zerstörten jüdische Geschäfte. „Fensterscheiben eingeschlagen, ein heilloses Durcheinander in den Geschäften, herausgerissene Schubladen, verstreute Wäschestücke und Schuhe, zertrümmerte Möbel, zerschlagenes und zertretenes Porzellan”, erinnerte sich eine Bielefelderin an die Pogromnacht.
Der antisemitische Hass entlud sich im gesamten Deutschen Reich und äußerte sich in der Ermordung von mehr als 400 Jüd:innen, der Zerstörung von mehr als 1.400 Synagogen, der Verwüstung und Plünderung von etwa 7.500 jüdischen Geschäften und Wohnhäusern sowie der Verhaftung und Deportation von über 30.000 Jüd:innen. Die unfassbaren Gewaltaktionen werden heute als Novemberpogrome bezeichnet und markieren den Übergang von der Diskriminierung und Entrechtung zur systematischen Verfolgung und Vernichtung jüdischer Menschen. Die in Bielefeld geborene Helga Ravn erinnert sich: „… von da an wurde das Leben für uns Juden mehr und mehr unerträglich“.
Allein den Hauptbahnhof unserer Stadt verließen in den folgenden Jahren neun Deportationszüge mit Jüd:innen aus ganz Ostwestfalen. Der mit Abstand größte Deportationszug fand am 31. Juli 1942 statt. 590 jüdischen Männern, Frauen und Kindern wurden aus dem Gestapo-Außenbezirk Bielefeld in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt, das von den Nationalsozialist:innen verharmlosend als „Altersghetto” bezeichnet wurde. Neben Theresienstadt fuhren weitere Züge in die Lager Auschwitz und Riga. Von den schätzungsweise 1800 Deportierten Jüd:innen aus Bielefeld überlebten nur Wenige.
Heute, 86 Jahre später, ist Deutschland wie viele andere Länder für jüdische Menschen kein sicherer Ort. Einer aktuellen Studie zufolge gaben europaweit 76 Prozent der Jüd:innen an, ihre jüdische Identität „zumindest gelegentlich“ zu verbergen, weil sie sich um ihre Sicherheit sorgen. Rund jede:r dritte Befragte meide gar jüdische Veranstaltungen oder Orte.
Ob es die jüngsten Wahlerfolge der AfD sind, die die Zeit des deutschen Faschismus mit der damit einhergehenden Ermordung von über 6 Millionen Jüd*innen „als Vogelschiss in der Geschichte“ bezeichnet. Ob es die Ausbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen durch sogenannte Corona-Rebellen während der Covid-Pandemie ist. Oder ob es die massive Zunahme von direkten Angriffen auf Synagogen im Kontext des Nahostkonfliktes seit dem 7.Oktober 2023 ist. Antisemitismus und der Hass auf jüdisches Leben hat viele Gesichter und ist auf dem Vormarsch.
Kommt deshalb am Samstag, dem 9. November, dem Jahrestag der Novemberpogrome mit uns auf die Straße:
Solidarität mit allen jüdischen Menschen weltweit! Gegen jeden Antisemitismus!
Gedenken heißt Kämpfen!