[Redebeitrag] 8.März Femizide

Fast an jedem Tag wird in Deutschland eine Frau von einem Mann getötet, weil sie eine Frau ist. Und das ist nur die traurige Spitze des Eisberges: an jedem Tag, an dem eine Frau ihre Leben verliert, werden etwa 400 weitere Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt.

Auch die 21-jährige Rettungssanitäterin Hannah musste 2023 in Bielefeld sterben, weil ein Kollege auf einer Party ihr Nein nicht akzeptieren wollte.

Vertreter*innen der Regierung und des Sicherheitsapparats treten mit bestürzten Mienen vor die Kameras, wenn es um die ermordeten Frauen geht. Sie betonen, dass sie den Schutz von Frauen ernst nehmen würden. Es wird von „Entsetzen“ und „Erschrecken“ gesprochen, um die Lage zu beschreiben, woraufhin eine Aufzählung der Maßnahmen zum Schutz von Frauen vorgestellt wird. Gerne wird an dieser Stelle das Leid der Betroffenen dann noch für ihren Rassismus instrumentalisiert. Und dann klopft man sich gegenseitig auf die Schultern: es gäbe vielleicht noch einiges zu tun, aber viel sei schon getan worden. Selbstlob im Angesicht des totalen Versagens. Selbstlob, während alle sogenannten Maßnahmen noch nicht einmal in die Nähe des Kerns des Problems kommen. Scheinheilige Aktionspläne, die keine von uns sicherer fühlen lassen.

Wer soll uns schützen, wenn die Gefahr uns überall umgibt – zuhause, am Arbeitsplatz, auf Partys, auf der Straße? Wenn unsere Körper, unsere Arbeit, unsere Existenz immer noch nicht uns gehören? Wenn Staat und Polizeiapparat viel mehr Teil des Problems, als Teil der Lösung sind? Wenn dieses System dazu führt, dass der Maskulinismus weiterwächst, der sich an uns gewaltvoll und tödlich entlädt?

Seit dem Tod von Hannah, hat sich die Gefahrenlage leider nicht gebessert. Allein im letzten halben Jahr gab es mindestens drei weitere Frauen in unserer Umgebung, die Femiziden zum Opfer geworden sind. Die 32jährige Lieza-Marie aus Detmold, deren kleine Tochter nun ohne ihre Mutter aufwachsen muss und deren Kolleg:innen und Freund:innen sagen, dass sie ihren „aufgeschlossenen Sonnenschein vermissen“. Die 46jährige Maria aus Rheda-Wiedenbrück, die ein selbstbestimmtes Leben nach ihren Vorstellungen nicht mehr erleben durfte, vermutlich weil ihr Ehemann ihren Trennungswunsch nicht respektieren wollte. Und die erst 20 Jahre alte und schwangere Shaghaiegh aus Bad Salzuflen, die ihr eigenes Kind nie kennenlernen konnte, weil ihr Ex-Partner meinte ein Anrecht auf das junge Leben der Frau und ihr ungeborenes Kind zu haben.

Wir bitten Euch an dieser Stelle mit uns eine Schweigeminute einzulegen, um Hanna, Lieza-Marie, Maria, Shaghaiegh und allen anderen zu gedenken, die wir durch partiarchale Gewalt verloren haben.

Hinzu kommt eine 78jährige, deren Name uns unbekannt ist. Sie wurde vergangenen Donnerstag von ihrem Ehemann in deren Wohnung in Sennestadt getötet. Die NW hat dazu gestern Abend einen furchtbaren Artikel veröffentlicht, der sich sehr viel Zeit nimmt, einige Nachbarinnen darin zu zitieren, was für ein wunderbarer, freundlicher und hilfsbereiter Mensch der Täter sei – über die Verstorbene gibt es nur einen Satz – sie habe immer „viel gemeckert“. Eine kritische Einordnung dieser Aussagen sucht man vergeblich. Das ist nur ein Beispiel für absolut unangemessene Berichterstattung bei Femiziden. Nur ein Beispiel dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der permanent versucht wird dem Mann Verständnis und Mitgefühl entgegenzubringen. Selbst nachdem er einer Frau das Leben genommen hat, wird davor kein Halt gemacht! Boys will be Boys.

Keine Forderung nach Schutz, kein Appell an den Staat wird uns retten. Die Veränderung, die wir brauchen, um unsere Leben zu schützen, müssen wir sein und wir müssen sie fordern. Von jedem und jeder Einzelnen.

Was neben unserer Trauer bleibt, ist Wut.
Wut darüber, dass wir leise sein sollen, lächeln und anständig sein sollen.
Wut darüber, dass wir nicht so hysterisch sein sollen, uns nicht so anstellen sollen.
Wut darüber, dass wir sehen, wie Frauen Gewalt angetan wird.
Wut darüber, dass uns klar gemacht wird, dass jede von uns jederzeit die Nächste sein kann.
Die Wut lebt in uns. Wir schlucken sie herunter. Mit Gewalt gegen uns selbst stopfen wir damit unsere Münder und fressen sie in uns hinein. Jede von uns ist voll von heruntergeschluckter Wut. Sie zu finden und zu nutzen ist revolutionär. Unsere Wut herauszuschreien, ist ein Akt der Befreiung. Sie ist notwendig, um nicht weniger als unsere Leben zu retten.

Um keine Einzige mehr an ihr System aus Scham und Schuld, aus Ausbeutung und Unterdrückung zu verlieren.

Lasst uns gemeinsam traurig sein und Hannah, Lieza-Marie, Maria, Shaghaiegh  und allen anderen gedenken. Aber lasst uns auch unsere Wut nutzen, für jede Einzelne von ihnen und für jede Einzelne von uns.

Genug ist genug! Das Patriarchat soll brennen!