Die Kundgebung heute steht unter dem Motto „Stimme erheben gegen Rechts“, Anlass ist der vorraussichtliche Einzug der AfD in den Bielefelder Rat mit der Wahl am Sonntag.
Die AfD wird in Bielefeld zwar kein besonders gutes Ergebnis erzielen, aber trotzdem ist es der nächste Dammbruch, der nächste Schritt zur Normalisierung. Das erste Mal seit Jahrzehnten werden Faschist*innen in den Gremien dieser Stadt sitzen. Ich werde jetzt nicht erneut herleiten warum wir die Bielefelder AfD im Allgemeinen und ihren Bürgermeisterkandidaten Florian Sander im Besonderen für faschistisch halten, dazu wurde in den letzten Wochen genügend gesagt.
Stattdessen ein paar Worte dazu, wie die AfD ihre Sitze im Rat nutzen wird. Zuallererst das Beruhigende: Sie wird keine Mehrheit erringen können und selbst die konservativen Fraktionen werden wohl vor einer offenen Zusammenarbeit zurückschrecken. Die AfD wird stattdessen versuchen die Arbeit zu sabotieren und die Organe der Stadt als Bühne zu nutzen.
Sie wird einerseits versuchen mit scheinbar sinnvollen Sachanträgen Anschlussfähigkeit zu schaffen und andererseits versuchen Debatten über die Schließung fortschrittlicher Projekte in der Stadt loszutreten und anzufeuern. Das kann dann von den Frauenhäusern, über die studentische Selbstverwaltung bis zum linken Zentrum alles treffen, was nicht in ihr Weltbild passt. In unserer Nachbarstadt Bünde können wir das bereits vor der Wahl beobachten. Dort versucht die AfD bereits offen den linken Freiraum Villa Kunterbunt anzugreifen. Auch hier in Bielefeld werden sich feministische, antirassistische und linke Projekte auf neue Angriffe einstellen müssen.
Die lokalen Medien und die anderen Parteien müssen sich schon jetzt einen Umgang mit diesen Strategien überlegen! Es kann nicht sein, dass Faschist*innen Interviews geben können und Teil der normalen Debatte sein sollen. Es darf nicht über jedes Stöckchen gesprungen werden, dass die AfD hinhält!
Es gibt keine Basis zur Diskussion mit Menschenfeinden!
Was bedeutet all das für Antifaschist*innen? Der Wahlkampf neigt sich dem Ende zu und viele haben sich an Aktionen gegen die AfD beteiligt. Ihre Stände wurden begleitet, es gab Demos und andere Aktionen. Die Aktionen sind gut und schränken die AfD ein, leider wird es wohl nicht reichen um Plätze im Rat für sie zu verhindern.
Von vielen wird behauptet, die beste Strategie die Rechten einzugrenzen, sei es bei einer der demokratischen Parteien das Kreuz zu machen.
Wir haben eine grundlegende Kritk an Wahlen im aktuellen System und können alle verstehen, die sich dagegen entscheiden zu wählen. Wahlen werden dieses unmenschliche kapitalistische System nicht grundlegend ändern, im Gegenteil sie stützen es fundamental.
Trotzdem ist es auf den ersten Blick eine einfache antifaschistische Rechnung: Jede Stimme für die anderen, senkt die Prozente der AfD.
Doch wen sollen wir als Linke wählen? CDU und FDP kommen nicht infrage. Die SPD besitzt eine hundertjährige Tradition des Verrats an der Linken. In jüngerer Zeit durch die Agenda2010, die Arbeit in der GroKo und zuletzt mit der Aufstellung von Olaf „es hat keine Polizeigewalt in Hamburg gegeben“ Scholz als Bundeskanzler-Kandidat. Auch lokal ist die SPD maßgeblich an der Verdrängungspolitik am Kesselbrink beteiligt, findet keine Worte zur täglichen rassistischen Polizeigewalt und versagt außerdem beispielsweise bei der Wohnraumfrage.
Wie sieht es aus mit den Grünen? Auf Bundesebene haben die sich teilweise schon auf schwarz-grün eingestellt und stützen das mörderische Abschieberegime in den Bundesländern. Lokal steht auf ihrer Kandidat*innenliste ein – mittlerweile wohl ehemaliger – Funktionär der islamistischen und Erdogan-nahen Millî Görüş Bewegung. Wer „Refugees Welcome“ ernst meint, kann hier nicht die Islamisten unterstützen, die maßgeblich für die Kriege im Nahen Osten mitverantwortlich sind. Und die OB-Kandidatin Kerstin Haarmann äußert sich in der Lokalpresse rassistisch zur Debatte um den Kesselbrink.
Und auch bei der Partei „Die Linke“ gibt es Protagonist*innen wie Dieter Dehm und Andrej Hunko, die seit Jahren durch Verschwörungsideologien auffallen und aktuell beispielsweise die rechtsextremen sogenannten „Corona-Rebellen“ verharmlosen. Der Kreisverband Bielefeld hat gezeigt, dass er nicht viel besser ist, indem er mit Sarah Wagenknecht eine überzeugte Verteidigerin der harten Migrationspolitik der EU zum Wahlkampf eingeladen hat.
Natürlich sind alle diese Parteien keine Faschist*innen und insofern der AfD vorzuziehen und an der Basis gibt es überall vernünftige Menschen, mit denen auch wir gerne zusammenarbeiten. Trotzdem zeigt sich, dass eine Wahl aktuell immer nur die Wahl eines kleineren Übels sein kann.
An der unmenschlichen Geflüchtetenpolitik sehen wir, dass es eben nicht nur darum gehen kann, die AfD aus den Regierungen raus zu halten.
Im Geflüchtetenlager Moria wurden die Leute wie Tiere gehalten, von rassistischen Straßenmobs bedroht und kaum ausreichend ernährt. Jetzt ist das Lager abgebrannt und ein menschenverachtendes Geschacher darum startet, welches Land wie wenig Menschen aus dieser Hölle retten soll. Die Situation in den Lagern in Lybien, in denen von systematischer Folter und Sklaverei die Rede ist, ist nicht besser. Ebenso sollte hier allen klar sein, dass inzwischen weit mehr als 20.000 Menschen in der Sahara und im Mittelmeer auf der Flucht starben, Seennotrettung aktiv behindert wird und sich der Grenzschutz der EU, teilweise gestellt von islamistischen Milizen aus Lybien, die Leute, die eigentlich bei uns Schutz suchen, ertrinken lassen oder aktiv ins Meer zurückwerfen.
Und diese Politik wird eben nicht von der AfD durchgesetzt. Vielmehr ist es die sogennante bürgerliche Mitte, die für diese Politik sorgt. Viel ist die Rede von „Sachzwängen“ oder es wird gleich komplett unter den Teppich gekehrt. Und solange sich die Politiker*innen nicht auch hier lokal klar gegen die Politik ihrer Parteien auf Bundes- und Landesebene stellen, sind es eben nur leere Lippenbekenntnisse wenn sich Bielefeld beispielsweise zum sicheren Hafen erklärt.
Es wird sich dann beruhigt, wenn man im November gemeinsam mit Tausenden gegen Nazis in Bielefeld demonstriert, oder ab und zu mal auf eine Veranstaltung wie diese hier geht. Aber „Stimme erheben gegen Rechts“ bedeutet eben mehr als sporadisch zu einigen Events aufzutauchen und sich dann zuhause auf der Couch ganz gut zu fühlen, weil „man tut ja was man kann“. Wohin dieses Verhalten führt wird gut gezeigt in einem Zitat aus dem Film „La Haine“: „Dies ist die Geschichte einer Gesellschaft, die fällt. Während sie fällt, sagt sie, um sich zu beruhigen, immer wieder: Bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut. Aber wichtig ist nicht der Fall, sondern die Landung!“
Konkret auf die Situation in Moria übertragen bedeutet das: Wir müssen jetzt sofort alle 13.000 Geflüchteten in Sicherheit bringen, bevor die ganz harte Landung kommt und noch mehr Menschen sterben.
Uns geht es nicht darum einfach nur Leute zu beleidigen oder Vorwürfe zu machen, doch um das Problem mit den Rechten in diesem Land und auf der ganzen Welt zu verstehen, braucht es eine Analyse der gesellschaftlichen Gegebenheiten. Wie kann es überhaupt sein, dass es vielen eine echte Option zu sein scheint, zehntausende Flüchtende wissentlich verrecken zu lassen? Wie kann es sein, dass wir dazu neigen Probleme die wir hier in der Stadt haben durch Verdrängung zu lösen, statt sie an der Wurzel zu packen? Wieso hat sich das demokratische Versprechen des guten Lebens für alle offensichtlich nicht eingelöst?
Schon seit der Schulzeit stehen wir alle in Konkurrenz zueinander. Wir kämpfen um die Gunst der Lehrer*innen, um bessere Noten, um bessere Jobs. Und auf Ebene der Nationalstaaten wird dieser Kampf in knallharter Konkurrenz fortgesetzt – beispielsweise darin möglichst wenig Geld zur Rettung von Menschenleben einsetzen zu müssen. Eigentlich wissen wir doch, dass ein gutes Leben für alle – vorallem wenn man global denkt – aktuell nicht möglich ist. Um den Rechten ihren Boden zu entziehen, müssen wir dieses Konkurrenzverhältnis auflösen. Das geht nur mit großer Umverteilung und Umorganisation der Gesellschaft und das eben nicht nur im regionalen oder nationalen Rahmen, sondern auf globaler Ebene.
Diese Umorganisierung der Gesellschaft ist bitter nötig! Auf Grund der immer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen und auf Grund des Klimawandels, werden die Räume zur Aushandlung solidarischer Lösungen immer kleiner. Es werden immer weniger von diesem System profitieren und immer mehr werden in das soziale Nichts gedrängt. Um die aufstrebende Rechte noch aufzuhalten, braucht es eine tiefgreifende Diskussion über die gesellschaftlichen Verhältnisse in denen wir Leben.
Also egal ob ihr die Wahl am Sonntag boykottiert oder euer Kreuz bei einem der kleineren Übel macht: Wichtig ist es auch danach aktiv zu bleiben! Zeigt den Rechten, wo immer ihr sie seht, dass sie nicht willkommen sind. Aber nehmt auch die anderen Parteien und euer Umfeld in die Pflicht, wo immer sie sich menschenfeindlich äußern. Helft uns eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die den Finger in die Wunden der gesellschaftlichen Verhältnisse legt. Beteiligt euch an den Debatten um eine solidarische Organisation der Gesellschaft. Nur so können wir noch gewinnnen.
In diesem Sinne: Stimme erheben gegen Rechts! Immer und Überall!
Viel Spaß mit Esther Bejarano!