[Redebeitrag] [extern] Ableismus

Folgender Redebeitrag wurde auf der Kundgebung „Solidarisch aus der Krise! – Gesundheit darf keine Ware sein“ gehalten. Er stammt nicht von alibi. Wir veröffentlichen ihn hier mit freundlicher Genehmigung.

Ableismus
Dieser Redebeitragen wurde von zwei Personen verfasst. Eine Person von uns hat eine chronische Erkrankung. Die andere Person lebt ohne chronische Erkrankung oder Behinderung und ist Unterstützungs- und Vertrauensperson für von Ableismus Betroffene Personen.

Aber was heißt Ableismus eigentlicht genau? Ableismus kommt aus dem Englischen und heißt übersetzt fähig sein. Die Beurteilung einzelner Personen anhand ihrer körperlichen, psychischen und emotionalen Fähigkeiten ist die Grundlage für Ableismus. Kann jemand zum Beispiel lesen? Gehen? Hören? In Kontakt sein? Wenn ja: Alles im sogenannten Normalbereich. Wenn nein gilt die Person als behindert oder chronisch erkrankt. Ableismus bedeutet also die Auf- oder Abwertung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten. Dabei betrifft Ableismus alle Menschen, aber Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung in besonderem Ausmaß. Deshalb wird Ableismus auch oft mit dem Wort Behindertenfeindlichkeit übersetzt.

Und darum geht es jetzt in diesem Redebeitrag. Wir wollen einen Einblick geben. Was bedeutet es in dieser Gesellschaft mit einer chronischen Erkrankung zu leben? Wie ist es im Gesundheitssystem wenn man eine chronische Erkrankung hat? Und die wichtigste Frage: Was muss sich ändern?

Chronisch krank und/oder behindert sein bedeutet im aktuellen Gesundheitssystem immer wieder mit Barrieren und Diskriminierung zu erleben. Beispielsweise sind viele Ärzt*innen vielleicht medizinisch gut ausgebildet sind, Einfühlungsvermögen sowie kompetente Beratung gehören jedoch oft zur absoluten Mangelware. Die Erfahrung nicht ernst genommen zu werden gehört leider zur Standarterfahrung. Oder noch schlimmer: deine Symptome werden dir erst gar nicht geglaubt. Das bewusste Ignorieren oder Abtun von Symptomen von Patient*innen hat einen Namen. Medical Gaslighting. Es kann dazu führen, dass Erkrankungen zu spät ernstgenommen und gar nicht oder unzureichend behandelt werden. Medical Gaslighting betrifft vor allem Flinta Personen, also Frauen, Lesben, inter, non-Binary, trans und agender Personen sowie People of colour in besonderem Ausmaß. Hier wird eine Überschneidung der Diskriminierungsebenen deutlich.
Es ist schwer sich gegen die ärztliche bzw. medizinische Vorherrschaft zu behaupten, denn es besteht ein sehr großes Machtgefälle zwischen Mediziner*innen und Patient*innen.

Unter diesen Umständen kann es gar keine ausreichende medizinisch fundierte, ganzheitliche, empathisch und aufklärerische Behandlung geben.
Neben der Auseinandersetzung mit Ärzt*innen muss man sich als chronisch kranke und/oder behinderte Person auch immer mit der Bewilligung von Behandlungen oder Hilfsmitteln auseinandersetzen. Das System von Krankenkasse, Rentenversicherung ist manchmal undurchdringbar. Alles was die Kassen des Staates Geld kostet wird sehr häufig erstmal abgelehnt. Zum Beispiel Behandlungen wie eine Reha, ein neuer Rollstuhl oder eine neue Therapie. Obwohl sie Basics sind. Obwohl du einen Anspruch darauf hast. Konsequenz sind lange und aufwendige Prozesse, um dein Recht auf Behandlung durchzusetzen.
Chronisch Erkrankte und Menschen mit Behinderung sind für das Profit-orientierte Gesundheitswesen des Staates nicht rentabel genug. Sie leisten im Sinne des Staates nicht genug.

Menschen mit chronischer Erkrankung oder Behinderung sind also diversen Abhängigkeitsfaktoren ausgesetzt. Abhängigkeit von Ärzt*innen, der Willkürlichkeit von Krankenkassen und Personen die einen unterstützen.

Zu Zeiten der Corona Pandemie sind Menschen mit chron. Erkrankung oder Behinderung auch Abhängig von anderen solidarischen Menschen die mit oder für sie auf die Straße gehen. Viele Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen können zum Beispiel an Kundgebungen so wie der heutigen gar nicht teilnehmen. Der sogenannte Freedom-Day war für viele ein Schlag ins Gesicht. Was Freedom für die einen bedeutet, bedeutet für andere den totalen Lockdown. Jeden Tag den ganzen Tag. Und es ist kein Ende in Sicht. Isolation als einziger Weg sich vor dem tödlichen Virus zu schützen kann keine Lösung sein.

Wir brauchen Strategien die für alle Menschen egal ob mit oder ohne Erkrankung bzw. Behinderung funktionieren!

Wir brauchen Solidarität mit Menschen die heute aus gesundheitlichen Gründen nicht hier sein können!

Wir brauchen auch mehr politische Formen des Protests und zivilen Ungehorsams die zugänglich sind für Menschen die von Ableismus betroffen sind. 

Politischer Aktivismus muss inklusiver gestaltet werden.

Das heißt zum Beispiel: Kurze Demorouten, damit auch Menschen teilnehmen können die nur für kurze Zeit stehen oder laufen können. Außerdem Klapphocker auf dem Lauti mitnehmen, die Menschen sich bei Kundgebungen abholen können. Ableistische Sprache wie‚ auf dem rechten Auge blind‘ sollte vermieden werden. Das sind einige Anregungen und die Liste ließe sich noch weiter vorsetzen. Zentral ist: Es braucht auch Solidarität von linken Aktivist*innen! Es braucht Wissen und Auseinandersetzung mit dem Thema.

Öffnet euch und eure Gruppen für das Thema Ableismus, fragt in euren eigenen Reihen ob jemand sich mit dem Thema auskennt. Wenn die Antwort nein heißt, reflektiert euch und eure Einladungspolitiken! Holt euch Unterstützung bei anderen Aktivist*innen die von Ableismus betroffen sind. Nehmt sie ernst und hört ihnen zu!