[Redebeitrag] Femizide

Am 29.10.2023 – also vor etwas mehr als einem Monat – wurde eine junge Frau im Bielefelder Stadtteil Senne ermordet. Nachdem sie auf einer Party mit ihrem engsten Umfeld die Avancen eines Arbeitskollegen abgewiesen haben soll, bat der Täter nach unserem aktuellen Kenntnisstand um ein klärendes Gespräch bei einem Spaziergang. Ein heimtückischer Vorwand, um die 21-Jährige von den anderen Gästen zu isolieren und ihrem Leben auf grausame Art und Weise ein Ende zu setzen. Wir sind fassungslos, traurig und wütend über dieses abscheuliche Verbrechen in unserer Stadt und Wünschen den Angehörigen und allen anderen Menschen, die der Getöteten nahestanden, alles erdenklich Gute und viel Stärke in dieser schweren Zeit!

Als wäre nicht jede Einzelne, die der patriarchalen Gewalt zum Opfer fällt, eine Zuviel, sind Femizide wie dieser leider kein Einzelfall. So wurden im letzten Jahr mindestens 133 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht – und dass allein in Deutschland. Das ist jeder verdammte dritte Tag, an dem eine Frau ermordet wird!

Femizide sind dabei jedoch nur die traurige Spitze frauenfeindlicher Gewalt. Denn im Durchschnitt werden jede Stunde 14 Frauen Opfer von sogenannter Partnerschaftsgewalt. Die Dunkelziffer dürfte jedoch deutlich höher liegen, weil Betroffene aus Angst, Scham oder Schuldgefühlen, die ihnen wiederfahrende Gewalt nicht öffentlich machen und zur Anzeige bringen. Die Statistiken zeigen jedoch ohnehin schon Jahr für Jahr aufs Neue, wie allgegenwärtig und brutal das Patriarchat in unserer Gesellschaft ist und im wahrsten Sinne des Wortes zuschlägt.

Die tagtägliche Gewalt gegen Frauen entsteht jedoch nicht in den Köpfen Einzelner, die sich von der vermeintlich zivilisierten Gesellschaft verabschiedet haben und sich außerhalb dieser bewegen. Sie geht aus eben dieser hervor. Denn die gesellschaftlichen Grundstrukturen sind es, die unser Denken und Handeln maßgeblich prägen. Wenn wir die Hintergründe patriarchaler Gewalt verstehen wollen, müssen wir daher die patriarchale Arbeitsteilung und die ökonomische Struktur dahinter verstehen. Denn bereits in ihr ist die Gewalt gegen Frauen angelegt.

Während in vor-kapitalistischen Gesellschaften Arbeit in Selbstversorgung im unmittelbaren Umfeld des Wohnortes stattfand, entstand erst durch die gewaltsame Trennung der Menschen von ihrem Land und somit ihrer Lebensgrundlage mit zeitgleicher Entstehung von Fabriken ein Zwang seine Arbeitskraft zu verkaufen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Der stumme Zwang der Lohnarbeit war in der Welt und führte zu einer Trennung von häuslicher Reproduktionsarbeit auf der einen und Erwerbsarbeit auf der anderen Seite.

Aber was hat das nun mit Patriarchat und Femiziden zu tun? Während nach der Entstehung von Lohnarbeit zunächst sowohl Männer als auch Frauen in den Fabriken schuften mussten, wurden Frauen von der Erwerbsarbeit in die Hausarbeit gedrängt. Denn ohne Reproduktion keine Arbeitskraft. Und da sich der Kapitalismus nicht im luftleeren Raum entwickelt hat, sondern zu einer Zeit, in der patriarchale Strukturen bereits vorhanden waren, war schnell klar, wer welche Arbeit zu erledigen hat. Während die Männer weiter ihre Arbeitskraft unter harten Bedingungen verkaufen mussten, um das zur Versorgung der Familie notwendige Geld zu verdienen, hatten sich Frauen um die häusliche Reproduktionsarbeit wie Erziehung, Kochen und Putzen zu kümmern. Zu dieser entstehenden Rolle gehört auch die ständige Verfügbarkeit für die sexuellen Bedürfnisse des Mannes.

Was bereits vor dem Kapitalismus angelegt war, hat sich durch die räumliche Trennung von Hausarbeit und Lohnarbeit strukturell verfestigt. Mehr noch: Die patriarchale Arbeitsteilung erscheint den Allermeisten als natürliche Ordnung. Eigenschaften wie Härte oder Durchsetzungsfähigkeit, die in der Konkurrenz um Lohnarbeit omnipräsent sind, werden zur Natur des Mannes verklärt. Eigenschaften wie Gutmütigkeit und Fürsorglichkeit, die beispielsweise mit der Erziehung von Kindern einhergehen, erscheinen als Natur der Frau. Diese Zuschreibung vermeintlicher geschlechtsspezifischer Eigenschaften ist nicht nur ein Resultat der patriarchalen Arbeitsteilung im Kapitalismus, sondern dient auch der Legitimation, diese aufrecht zu erhalten.

Als wäre die Trennung der Menschen von den Produktionsmitteln und die daraus resultierenden Erwartungen an die Geschlechter auf Grundlage einer vermeintlichen natürlichen Ordnung für Frauen nicht schon schlimm genug, macht die feste Verankerung patriarchaler Arbeitsteilung das Leben für viele Frauen zum Albtraum.

So waren Frauen dadurch, dass es für Hausarbeit kein Geld gibt, finanziell lange Zeit von ihren Männern abhängig. Das hat sich heute zumindest in Deutschland in Teilen geändert. So gehen heute mehr Frauen einer Lohnarbeit nach als noch vor 50 Jahren. Doch ist die vermeintliche Aufweichung der patriarchalen Arbeitsteilung ein Erfolg für Frauen? Wir denken: Nein! Denn auch wenn Frauen für einen zumeist noch niedrigeres Gehalt als Männer einer Lohnarbeit nachgehen dürfen bzw. müssen – hat sich an der zugeschrieben Rolle die Hausarbeit machen zu müssen nicht viel geändert. Die in Teilen erreichte finanzielle Unabhängigkeit von Männern bezahlen Frauen mit einer zusätzlichen Doppelbelastung. Denn auch wenn Männer sich die Fingernägel lackieren und „gendertrouble“ bis in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft vorgedrungen ist, übernehmen Frauen weiterhin den Großteil der häuslichen Reproduktionsarbeit.

Doppelbelastung, Stress, schlechte Löhne, Niedriglohnsektor, Armut. So lassen sich die Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Frauen in Deutschland beschreiben. Und bereits das ist Gewalt.

Und als wäre die strukturelle Gewalt und die Gewalt geschlechtsspezifischer Erwartungen nicht schon schlimm genug, werden Frauen zur Zielscheibe körperlicher Gewalt – dem Thema der heutigen Kundgebung. Dieser sind Frauen meist ausgesetzt, wenn sie sich den genannten Punkten widersetzen. Frauen sind betroffen von Gewalt, wenn sie der zugewiesen Arbeit im Kapitalismus nicht gerecht werden. Wenn sie nicht kochen, putzen oder ihren Männern das Feierabendbier bringen wollen. Und nicht zuletzt werden Frauen ermordet, wenn sie sich der zugewiesen Rolle als sorgende Ehefrau und Sexobjekt für Männer ganz entziehen wollen. Nicht zufällig werden Frauen besonders häufig umgebracht, wenn sie sich trennen und eigene Wege gehen wollen. Oder wenn sie schlicht „Nein“ sagen, wie im Fall hier in Sennestadt. Gegen diese Gewalt müssen wir gemeinsam Kämpfen!

Wir müssen zusammenhalten und zurückschlagen!
Femizide stoppen heißt für uns Patriarchat und Kapitalismus abschaffen!